Handwerkskammer Erfurt Gildehaus

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Handwerkskammer Erfurt und Gildehaus

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Die Handwerkskammer Erfurt wurde 1900 gegründet und zog 1925 in das prächtige Renaissancegebäude "Zum breiten Herd", das seither als "Gildehaus" firmiert.


Unter Handwerk versteht man gemeinhin eine selbstständige berufliche Tätigkeit, die in einem durch Tradition geprägten Ausbildungsgang erlernt wird und in einer manuellen, meist mit Handwerkszeug ausgeführten individuellen Arbeit besteht. Der Begriff leitet sich vom althochdeutschen „hantwerc“ her, einer Lehnübersetzung des lateinischen „opus manuum“ für Handarbeit. Das Handwerk ist fester Bestandteil unseres kulturellen Erbes, die Handwerksgesellenwanderschaft „Walz“ gehört sogar zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Der traditionsbewusste Berufstand hat Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland über Jahrhunderte hinweg geprägt. Die meisten Bedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung, Gebrauchsgegenstände und Wohnen, wurden von ihm ebenso befriedigt, wie gehobene Ansprüche.

In der Mittelaltermetropole Erfurt, einer der größten und wohlhabendsten Städte des Reiches, war fast das gesamte Spektrum des Handwerks anzutreffen. Die zahlreichen Berufsgruppen waren in Zünften organisiert. Diese regelten Ausbildung, Arbeitszeiten, Preise und Qualität, wehrten aber auch durch den Zunftzwang Konkurrenz ab. Den mit den Patriziern an der Ratsherrschaft beteiligten neun „großen Zünften“ (Krämer, Bäcker, Lohgerber, Wollweber, Schuhmacher, Schmiede, Kürschner, Fleischer und Schneider) folgten die neun „kleinen Zünfte“ (Weißgerber, Senkler, Büttner, Schilder, Huter, Pergamentmacher, Färber, Heringer und Reußen) und weitere Gruppen. Auch in anderen Städten des späteren Kammerbezirks, wie den Reichsstädten Mühlhausen und Nordhausen oder Suhl als bedeutendem Zentrum des Waffenhandwerks, gab es eine breite Handwerkerschaft.

Im 19. Jahrhundert musste das Handwerk seinen Platz in der modernen Industriegesellschaft mit freiem Markt finden. Dies war mit sozialen Verwerfungen und dem Aussterben zahlreicher Berufe verbunden. Von der marxistischen Ideologie wurde es gar gänzlich dem Untergang geweiht. Im Erfurter Programm der SPD von 1891 heißt es: „Die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft führt mit Naturnotwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes.“ Zwischen den immer weniger Monopolkapitalisten und den rasant wachsenden Proletariermassen gab die Linke dem Handwerk keine Zukunft. In den Industriestädten, gespalten in Bürgertum und Arbeiterschaft, führte dies oft zu einer betont bürgerlichen, konservativen, antisozialistischen Haltung der Handwerkerschaft.

Ungeachtet solcher Abgesänge setzte das Handwerk industrieller Massenware kundenorientierte Qualität entgegen, passte sich neuen Marktstrukturen an und überdauerte in für die Industrie unprofitablen Bereichen. Hierzu trug auf dem Höhepunkt der Industrialisierung nach der Reichsgründung 1871 auch die Ausbildung effektiver Verbandsstrukturen bei. In diesen Kontext gehört die Gründung der Handwerkskammer zu Erfurt 1900. Von ihrem Sitz in Erfurt aus – seit 1925 im repräsentativen „Gildehaus“ – wahrt sie seit 125 Jahren unter verschiedenen politischen Systemen und Zuschnitten des Kammerbezirks erfolgreich die Interessen des Berufstandes. So wird sich das Handwerk mit Tradition und Innovation auch in Zukunft als „Wirtschaftsmacht von nebenan“ behaupten.


Steffen Raßloff: Zwischen Tradition und Moderne. 125 Jahre Handwerkskammer Erfurt. 100 Jahre Gildehaus. Erfurt 2025.


Siehe auch: Handwerkskammer Erfurt, Präsentation der Festschrift am 23.04.2025 in der HWK, Geschichte der Stadt Erfurt