Rebellion - Reformation - Revolution

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Rebellion - Reformation - Revolution

Am 31. Oktober 2012 wurde die neue Ausstellung im Stadtmuseum Erfurt eröffnet


Tolle Jahre. Rebellion - Reformation - Revolution


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Die Ausstellung beschäftigt sich mit großen historischen Umwälzungsprozessen und Zäsuren. Der Bruch mit Althergebrachtem gilt in hohem Maße für die Reformation: Die alte kirchliche Ordnung und Einheit wurden abgelöst, vielfältige politisch-gesellschaftliche Entwicklungen in Gang gesetzt oder maßgeblich verstärkt. Dabei wird die wichtige Rolle Erfurts als spätmittelalterliches Wissenschaftszentrum, geistige Prägestätte Luthers und Ereignisort der Reformation deutlich. Über eine klassische Ausstellung mit hochkarätigen Exponaten hinaus sollen aber auch Fragen aufgeworfen und Denkanstöße aus der Perspektive unserer heutigen Zeit geben werden. Dies geschieht u.a. durch großformatige, emotional ansprechende Fotowände.

Im ersten Abschnitt „Tolle Jahre?“ wird zunächst auf die Bedeutung Erfurts für Luther und als Wiege der Reformation hingewiesen. Es ist erlebbar, was die Reformation im Kern ausmachte: theologische Disputationen und Kanzelstreit der Prediger. Sie wurden von Geistlichen und gelehrten Humanisten geführt. Laien konnten die Kontroversen durch Bücher, Flugschriften, Spottlieder und Karikaturen mit verfolgen. Durchgesetzt oder verhindert wurde die Reformation freilich von den jeweiligen weltlichen Herrschern. Politisches Kalkül ließen den Erfurter Rat eine klare Entscheidung vermeiden und führte zu der Besonderheit, dass beide Konfessionen bei deutlichem Übergewicht der Protestanten nebeneinander bestehen blieben. Die Auseinandersetzungen um die Reformation wurden bewusst mit der Durchsetzung politischer und sozialer Ziele verknüpft. Höhepunkte in Erfurt waren das Pfaffenstürmen 1521 und die Auswirkungen des Bauernkrieges unter Führung von Thomas Müntzer 1525. Luther positionierte sich deutlich gegen „Aufruhr und Empörung“. Die Ereignisse und Entwicklungen jener „tollen Jahre“ werden auf ihren weichenstellenden Charakter bis hin zur Gegenwart befragt.

Die Präsentation der prachtvollen Insignien der Universität Erfurt eröffnet das Thema „Freie Künste?“. Luther bezeichnete die Universität, mit ihrem Gründungsprivileg von 1379 die älteste im heutigen Deutschland, als „Mutter, der ich alles verdanke“. Hier hatte er die ersten akademischen Grade bis zum Magister der Freien Künste absolviert und nach dem Klostereintritt das Theologiestudium begonnen. Humanismus und Reformation prägten die Bildungsstätte von europäischem Rang, die hiermit den Zenit ihrer Entwicklung erreichte. Der von Reformation und Humanismus begleitete Aufbruch in die Neuzeit wird von großen Entdeckungen und technischen Neuerungen charakterisiert. Leistungen aus Vergangenheit und Gegenwart veranschaulichen, dass Forschung und Technik viele Chancen, aber auch Risiken bieten. Das wirft die Frage nach der moralischen Verantwortung von Wissenschaft auf.

Der Bereich „Am Anfang war das Wort?“ thematisiert die Bedeutung der Medien. Buchdruck und Alphabetisierung im Zuge der Entwicklung des Schulwesens hatten die Voraussetzung zur Verbreitung der neuen Glaubenslehren im großen Stil geschaffen. Dies reiht sich ein in eine fortschreitende Entwicklung der Medien. Schon auf einer Keilschrifttafel wurden vor 4000 Jahren Informationen gespeichert und weitergeben. Heute ist ein Leben ohne elektronische Medien kaum mehr vorstellbar. Sie sind allgegenwärtig, variieren in ihrer Qualität und bieten ihren Nutzern unzählige Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, der Kommunikation bis hin zum Eintauchen in spielerische Fantasiewelten. Das stellt neue Herausforderungen an die Medienkompetenz.

Der Abschnitt „Macht und Liebe?“ stellt die Bedeutung der Konfessionen nach der verfassungsrechtlichen Trennung von Staat und Kirche in scheinbar säkularisierten Bereichen der Gesellschaft zur Diskussion. Wie hat die Reformation dieses Verhältnis gewandelt? Welche Grundhaltungen hat die Luthersche Obrigkeitslehre befördert? Die Konfrontation mit den 10 Geboten aus dem Kleinen Katechismus Luthers, der höchsten Form der christlichen Moraltheologie, hinterfragt ihre universelle Gültigkeit. Was sagen uns die jahrhundertealten Verbote und Gebote „Du sollst (nicht) …“? Haben sie Ewigkeitswert und sind ein Leitfaden im heutigen Alltag?

Zum Abschluss widmet sich ein Raum der Fragestellung „Ich und das Andere?“. Luther beschimpfte ganz als Zeitgenosse Pfaffen, Türken, Sektierer, Hexen und Juden. Die Ablehnung von Fremden und Zuwanderern hatte schon immer viele Gesichter, von Vorurteilen bis fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten. Davon betroffen sind seit Jahrhunderten in besonderem Maße die Juden. Sie erlebten antijudaistische und später antisemitistische Gewalt, aber auch Toleranz. Was sind die Ursachen fremdenfeindlicher Einstellungen? Begünstigen gesellschaftliche Desintegrationsprozesse die Ablehnung oder sind es gruppendynamische Prozesse, niedriges Bildungsniveau und fehlende soziale Kontakte? Wie stehen wir heute zu „Anderen“?

An vier Orten begegnet der Besucher Till Eulenspiegel, der als Sinnbild des Spotts Interviews mit historischen Erfurter Persönlichkeiten führt: dem Obervierherrn Heinrich Kellner, dem Gelehrten, Büchersammler und Rektor Amplonius Rating de Berka, dem Reformator und Freund Luthers, Johannes Lang und einem Wucherer. Mit Scharfsinn und Witz entsteht so eine Kommentarebene zur Ausstellung.

Realisiert wurde das Ausstellungsprojekt von einem Team aus den Kuratoren Dr. Steffen Raßloff und Gudrun Noll, Gestalter Carl Ulrich Spannaus und Museumsdirektor Hardy Eidam (letzte Abb., Fotos: Thüringer Allgemeine), unterstützt von einem Kuratorium unter Universitäts-Präsident Prof. Dr. Kai Brodersen.


Vorschau in der Thüringer Allgemeine vom 11.10.2012: Tolle Jahre. Rebellion - Reformation - Revolution