Kleine Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung in Leipzig: Unterschied zwischen den Versionen
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Die tradierte Ratsverfassung endete nach der Revolution von 1830. Hierauf schrieb die Sächsische Städteordnung (1832) die modernisierten Strukturen fest. Die Entwicklung zur Industriegroßstadt wurde nun von einer durch die Bürgerschaft gewählten Stadtverordnetenversammlung mitbestimmt, die den Stadtrat und den Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister (seit 1877) wählte. Prägend wirkten hierbei der erste Oberbürgermeister Otto Georgi und dessen Nachfolger Bruno Tröndlin und Rudolph Dittrich. Das Selbstbewusstsein der Kommune mit ihrer erheblich ausdifferenzierten Stadtverwaltung spiegelt sich im Neuen Rathaus (1905), einem der größten Rathäuser Deutschlands. Das Kommunalwahlrecht sicherte die Hegemonie des Bürgertums, während die aufstrebende Arbeiterbewegung mit der SPD kaum politische Mitsprache erlangte. | Die tradierte Ratsverfassung endete nach der Revolution von 1830. Hierauf schrieb die Sächsische Städteordnung (1832) die modernisierten Strukturen fest. Die Entwicklung zur Industriegroßstadt wurde nun von einer durch die Bürgerschaft gewählten Stadtverordnetenversammlung mitbestimmt, die den Stadtrat und den Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister (seit 1877) wählte. Prägend wirkten hierbei der erste Oberbürgermeister Otto Georgi und dessen Nachfolger Bruno Tröndlin und Rudolph Dittrich. Das Selbstbewusstsein der Kommune mit ihrer erheblich ausdifferenzierten Stadtverwaltung spiegelt sich im Neuen Rathaus (1905), einem der größten Rathäuser Deutschlands. Das Kommunalwahlrecht sicherte die Hegemonie des Bürgertums, während die aufstrebende Arbeiterbewegung mit der SPD kaum politische Mitsprache erlangte. | ||
Auf die Periode des Aufstiegs zur modernen Metropole folgte das „Zeitalter der Extreme“ im 20. Jahrhundert mit seinen beiden Weltkriegen und Diktaturen. Die | Auf die Periode des Aufstiegs zur modernen Metropole folgte das „Zeitalter der Extreme“ im 20. Jahrhundert mit seinen beiden Weltkriegen und Diktaturen. Die Weimarer Republik sorgte zunächst für den Durchbruch der parlamentarischen Demokratie auf kommunaler Ebene. Es spiegelte sich die tiefe Spaltung in ein Arbeiter- und Bürgermilieu nun auch im Stadtparlament, das oft im Spannungsverhältnis zur Stadtverwaltung unter dem liberalen Oberbürgermeister Karl Rothe stand. Im Dritten Reich und in der DDR wurden die demokratische Mitbestimmung durch totalitäre Strukturen ersetzt und Kommunalpolitiker verfolgt. Hierfür steht Oberbürgermeister Carl Goerdeler, der 1936 sein Amt aufgab und als Beteiligter am Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Ansätze einer Rückkehr zu kommunaler Selbstverwaltung nach 1945 unter Oberbürgermeister Erich Zeigner (SPD/SED) wurden rasch im Keime erstickt. | ||
Seit 1989/90 wird die Entwicklung wieder von echter kommunaler Selbstverwaltung geprägt. Nach friedlicher Revolution und einer Übergangsphase mit dem Runden Tisch prägte das „Leipziger Modell“ unter Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (SPD) die „Nachwendezeit“. Einen historischen Einschnitt bildete die neue Sächsische Gemeindeordnung (1993), seit der der nunmehrige Stadtrat und der Oberbürgermeister jeweils von der Bürgerschaft frei gewählt werden. Waren die (Ober-)Bürgermeister als „erste Beamte“ der Stadt traditionell dem Ratskollegium eher gleichgestellt, so fungierten und fungieren der 1994 erstmals in Direktwahl im Amt bestätigte Oberbürgermeister Lehmann-Grube sowie dessen Nachfolger Wolfgang Tiefensee (SPD) und Burkhard Jung (SPD) als echte Stadtoberhäupter an der Spitze einer vielgliedrigen Verwaltung mit 10.000 Mitarbeitern. Sie besaßen und besitzen zudem politisches Gewicht über die Stadtgrenzen hinaus, was die zurückerlangte Stellung als eine der führenden deutschen Metropolen spiegelt. | Seit 1989/90 wird die Entwicklung wieder von echter kommunaler Selbstverwaltung geprägt. Nach friedlicher Revolution und einer Übergangsphase mit dem Runden Tisch prägte das „Leipziger Modell“ unter Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (SPD) die „Nachwendezeit“. Einen historischen Einschnitt bildete die neue Sächsische Gemeindeordnung (1993), seit der der nunmehrige Stadtrat und der Oberbürgermeister jeweils von der Bürgerschaft frei gewählt werden. Waren die (Ober-)Bürgermeister als „erste Beamte“ der Stadt traditionell dem Ratskollegium eher gleichgestellt, so fungierten und fungieren der 1994 erstmals in Direktwahl im Amt bestätigte Oberbürgermeister Lehmann-Grube sowie dessen Nachfolger Wolfgang Tiefensee (SPD) und Burkhard Jung (SPD) als echte Stadtoberhäupter an der Spitze einer vielgliedrigen Verwaltung mit 10.000 Mitarbeitern. Sie besaßen und besitzen zudem politisches Gewicht über die Stadtgrenzen hinaus, was die zurückerlangte Stellung als eine der führenden deutschen Metropolen spiegelt. | ||
Version vom 16. August 2025, 11:51 Uhr
Kommunale Selbstverwaltung in Leipzig
Die Geschichte der stolzen Bürgerstadt und mitteldeutschen Metropole Leipzig wird seit Jahrhunderten von einer weitgehenden kommunalen Selbstverwaltung geprägt.
Seit dem 13. Jahrhundert bildete sich eine Ratsverfassung mit autonomer Regelung der städtischen Angelegenheiten aus. Es wechselten sich drei Räte mit je 12 Mitgliedern und einem Bürgermeister im jährlichen Rhythmus als Sitzender Rat ab. Zur eigentlichen Regierung entwickelte sich der Enge Rat, kurz Enge, aus den ältesten und angesehensten Ratsherren. Zuwahlen erfolgten durch den Rat selbst ohne Beteiligung der Bürgerschaft. Den anfangs dominierenden Kaufleuten traten zunehmend Juristen an die Seite. Symbolort jener vormodernen Epoche ist das Alte Rathaus (1557), im Renaissancestil umgebaut von Bürgermeister Hieronymus Lotter. Es beherbergt heute das Stadtgeschichtliche Museum und gilt zusammen mit den Quellenbeständen des Stadtarchivs als „historisches Gedächtnis“ der kommunalen Selbstverwaltung.
Die tradierte Ratsverfassung endete nach der Revolution von 1830. Hierauf schrieb die Sächsische Städteordnung (1832) die modernisierten Strukturen fest. Die Entwicklung zur Industriegroßstadt wurde nun von einer durch die Bürgerschaft gewählten Stadtverordnetenversammlung mitbestimmt, die den Stadtrat und den Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister (seit 1877) wählte. Prägend wirkten hierbei der erste Oberbürgermeister Otto Georgi und dessen Nachfolger Bruno Tröndlin und Rudolph Dittrich. Das Selbstbewusstsein der Kommune mit ihrer erheblich ausdifferenzierten Stadtverwaltung spiegelt sich im Neuen Rathaus (1905), einem der größten Rathäuser Deutschlands. Das Kommunalwahlrecht sicherte die Hegemonie des Bürgertums, während die aufstrebende Arbeiterbewegung mit der SPD kaum politische Mitsprache erlangte.
Auf die Periode des Aufstiegs zur modernen Metropole folgte das „Zeitalter der Extreme“ im 20. Jahrhundert mit seinen beiden Weltkriegen und Diktaturen. Die Weimarer Republik sorgte zunächst für den Durchbruch der parlamentarischen Demokratie auf kommunaler Ebene. Es spiegelte sich die tiefe Spaltung in ein Arbeiter- und Bürgermilieu nun auch im Stadtparlament, das oft im Spannungsverhältnis zur Stadtverwaltung unter dem liberalen Oberbürgermeister Karl Rothe stand. Im Dritten Reich und in der DDR wurden die demokratische Mitbestimmung durch totalitäre Strukturen ersetzt und Kommunalpolitiker verfolgt. Hierfür steht Oberbürgermeister Carl Goerdeler, der 1936 sein Amt aufgab und als Beteiligter am Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Ansätze einer Rückkehr zu kommunaler Selbstverwaltung nach 1945 unter Oberbürgermeister Erich Zeigner (SPD/SED) wurden rasch im Keime erstickt.
Seit 1989/90 wird die Entwicklung wieder von echter kommunaler Selbstverwaltung geprägt. Nach friedlicher Revolution und einer Übergangsphase mit dem Runden Tisch prägte das „Leipziger Modell“ unter Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (SPD) die „Nachwendezeit“. Einen historischen Einschnitt bildete die neue Sächsische Gemeindeordnung (1993), seit der der nunmehrige Stadtrat und der Oberbürgermeister jeweils von der Bürgerschaft frei gewählt werden. Waren die (Ober-)Bürgermeister als „erste Beamte“ der Stadt traditionell dem Ratskollegium eher gleichgestellt, so fungierten und fungieren der 1994 erstmals in Direktwahl im Amt bestätigte Oberbürgermeister Lehmann-Grube sowie dessen Nachfolger Wolfgang Tiefensee (SPD) und Burkhard Jung (SPD) als echte Stadtoberhäupter an der Spitze einer vielgliedrigen Verwaltung mit 10.000 Mitarbeitern. Sie besaßen und besitzen zudem politisches Gewicht über die Stadtgrenzen hinaus, was die zurückerlangte Stellung als eine der führenden deutschen Metropolen spiegelt.
Steffen Raßloff: Kleine Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung in Leipzig. Leipzig 2025.