Erfurter Südseesammlung: Unterschied zwischen den Versionen

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1889 hatte der Erfurter '''[[Wilhelm Knappe]]''' seine Sammlung an die Stadt verkauft. Er war als Kaiserlicher Kommissar auf den Marshallinseln und Konsul auf Samoa aktiv. Der völkerkundlich interessierte Diplomat sammelte nicht Trophäen, vielmehr zeugen gerade die vielen Alltagsgegenstände vom Interesse für die Einheimischen, deren Sprache er erlernte. Hinweise auf unrechtmäßigen Erwerb gibt es nicht, zumal Knappe zu Beginn der Kolonialherrschaft aktiv war. So verfügte er für die 1000 Marshallinseln über einen Polizisten. Zwar war er 1889 auf Samoa in einen Kolonialkonflikt verwickelt, galt aber auch als Generalkonsul in China nicht als Säbelrassler und Rassist. Zeitgenossen und heutige Forscher zollen ihm Respekt.  
1889 hatte der Erfurter '''[[Wilhelm Knappe]]''' seine Sammlung an die Stadt verkauft. Er war als Kaiserlicher Kommissar auf den Marshallinseln und Konsul auf Samoa aktiv. Der völkerkundlich interessierte Diplomat sammelte nicht Trophäen, vielmehr zeugen gerade die vielen Alltagsgegenstände vom Interesse für die Einheimischen, deren Sprache er erlernte. Hinweise auf unrechtmäßigen Erwerb gibt es nicht, zumal Knappe zu Beginn der Kolonialherrschaft aktiv war. So verfügte er für die 1000 Marshallinseln über einen Polizisten. Zwar war er 1889 auf Samoa in einen Kolonialkonflikt verwickelt, galt aber auch als Generalkonsul in China nicht als Säbelrassler und Rassist. Zeitgenossen und heutige Forscher zollen ihm Respekt.  


Seine in der DDR-Zeit in Vergessenheit geratene Sammlung erlebte 2005 mit der Sonderausstellung in der Kunsthalle Erfurt '''[[Reisen ins Paradies]]''' eine Renaissance. Zuvor war sie mit Experten des Grassi-Museums für Völkerunde Leipzig fachlich aufgearbeitet und restauriert worden. Es erschienen ein Ausstellungskatalog und eine Knappe-Biographie. Das Echo weit über Thüringen hinaus war beachtlich. Danach wurde es allerdings wieder ruhig um die Erfurter Südseesammlung. Sie kann nur auf Anfrage im Schaudepot Benaryspeicher besichtigt werden. Im Rahmen der vom Stadtrat 2020 beschlossenen Beschäftigung mit dem '''[[Koloniales Erbe in Erfurt|kolonialen Erbe Erfurts]]''' könnte sie nun wissenschaftlich aufgearbeitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies muss seriöser als in der Ausstellung '''[[Kolonialismus in Erfurt]]''' 2019 geschehen, wo ohne belastbare Provenienzforschung von "kolonialem Unrechtskontext" und "Diebstahl" die Rede war.  
Knappes in der DDR-Zeit in Vergessenheit geratene Sammlung erlebte 2005 mit der Sonderausstellung in der Kunsthalle Erfurt '''[[Reisen ins Paradies]]''' eine Renaissance. Zuvor war sie mit Experten des Grassi-Museums für Völkerunde Leipzig fachlich aufgearbeitet und restauriert worden. Es erschienen ein Ausstellungskatalog und eine Knappe-Biographie. Das Echo weit über Thüringen hinaus war beachtlich. Danach wurde es allerdings wieder ruhig um die Erfurter Südseesammlung. Sie kann nur auf Anfrage im Schaudepot Benaryspeicher besichtigt werden. Im Rahmen der vom Stadtrat 2020 beschlossenen Beschäftigung mit dem '''[[Koloniales Erbe in Erfurt|kolonialen Erbe Erfurts]]''' könnte sie nun wissenschaftlich aufgearbeitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies muss seriöser als in der Ausstellung '''[[Kolonialismus in Erfurt]]''' 2019 geschehen, wo ohne belastbare Provenienzforschung von "kolonialem Unrechtskontext" und "Diebstahl" die Rede war.  


Generell geht es um Differenzierung, so Kunsthistoriker Stefan Trinks: "Es waren aber die Sammler mit ihrer Empathie, die sich als Alternative und als Korrektoren gegenüber Räubern und Versklavern empfanden und damit viele Zeugnisse indigener Kulturen vor einer Zerstörung bewahrten." (FAZ, 23.08.2020) Zu diesen Sammlern im Geiste von Herder und Humboldt darf man nach jetzigem Kenntnisstand auch Knappe zählen. Keineswegs alle Südsee-Exponate sind blutiges Raubgut, wie Götz Alys Buch "Das Prachtboot" (2021) einseitig suggeriert. Der Bayreuther Professor Hermann Joseph Hiery, bester Kenner der deutschen Südsee-Geschichte, macht auf die fehlende wissenschaftliche Tiefe und Ausgewogenheit von Alys Buch aufmerksam. Der Erwerb war meist komplexer als das "Täter-Opfer-Schema" der "populistisch-postkolonialen Geschichtsschreibung", so die Göttinger Ethnologie-Professorin Brigitta Hauser-Schäublin.           
Generell geht es um Differenzierung, so Kunsthistoriker Stefan Trinks: "Es waren aber die Sammler mit ihrer Empathie, die sich als Alternative und als Korrektoren gegenüber Räubern und Versklavern empfanden und damit viele Zeugnisse indigener Kulturen vor einer Zerstörung bewahrten." (FAZ, 23.08.2020) Zu diesen Sammlern im Geiste von Herder und Humboldt darf man nach jetzigem Kenntnisstand auch Knappe zählen. Keineswegs alle Südsee-Exponate sind blutiges Raubgut, wie Götz Alys Buch "Das Prachtboot" (2021) einseitig suggeriert. Der Bayreuther Professor Hermann Joseph Hiery, bester Kenner der deutschen Südsee-Geschichte, macht auf die fehlende wissenschaftliche Tiefe und Ausgewogenheit von Alys Buch aufmerksam. Der Erwerb war meist komplexer als das "Täter-Opfer-Schema" der "populistisch-postkolonialen Geschichtsschreibung", so die Göttinger Ethnologie-Professorin Brigitta Hauser-Schäublin.           

Version vom 31. Oktober 2021, 09:18 Uhr

Erfurter Südseesammlung

Die Erfurter Südseesammlung ist der bedeutendste Bestand des kolonialen Erbes in den Museen der Landeshauptstadt. Sie wurde 1889 von Konsul Wilhelm Knappe, einem gebürtigen Erfurter, angekauft.


SuedseesammlungBoot.jpg

Die Erfurter Südseesammlung gehört zu den außergewöhnlichen Beständen der Erfurter Museen. Sie umfasst rund 600 Objekte vom Alltagsgenstand bis hin zum imposanten Auslegersegelboot. Vieles ist von großem Wert, da die teils vom Sammler in einem Katalog in ihrem Kontext beschriebenen Gegenstände wichtige Rückschlüsse auf die Menschen der Südsee unmittelbar vor der kulturellen Überformung durch die Kolonialmächte ermöglichen. So gibt es kein weiteres „Walap“- Auslegersegelboot von den Marshallinseln – eine ethnologische Rarität von Weltrang (Foto: Stadt Erfurt, Dirk Urban).

1889 hatte der Erfurter Wilhelm Knappe seine Sammlung an die Stadt verkauft. Er war als Kaiserlicher Kommissar auf den Marshallinseln und Konsul auf Samoa aktiv. Der völkerkundlich interessierte Diplomat sammelte nicht Trophäen, vielmehr zeugen gerade die vielen Alltagsgegenstände vom Interesse für die Einheimischen, deren Sprache er erlernte. Hinweise auf unrechtmäßigen Erwerb gibt es nicht, zumal Knappe zu Beginn der Kolonialherrschaft aktiv war. So verfügte er für die 1000 Marshallinseln über einen Polizisten. Zwar war er 1889 auf Samoa in einen Kolonialkonflikt verwickelt, galt aber auch als Generalkonsul in China nicht als Säbelrassler und Rassist. Zeitgenossen und heutige Forscher zollen ihm Respekt.

Knappes in der DDR-Zeit in Vergessenheit geratene Sammlung erlebte 2005 mit der Sonderausstellung in der Kunsthalle Erfurt Reisen ins Paradies eine Renaissance. Zuvor war sie mit Experten des Grassi-Museums für Völkerunde Leipzig fachlich aufgearbeitet und restauriert worden. Es erschienen ein Ausstellungskatalog und eine Knappe-Biographie. Das Echo weit über Thüringen hinaus war beachtlich. Danach wurde es allerdings wieder ruhig um die Erfurter Südseesammlung. Sie kann nur auf Anfrage im Schaudepot Benaryspeicher besichtigt werden. Im Rahmen der vom Stadtrat 2020 beschlossenen Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe Erfurts könnte sie nun wissenschaftlich aufgearbeitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies muss seriöser als in der Ausstellung Kolonialismus in Erfurt 2019 geschehen, wo ohne belastbare Provenienzforschung von "kolonialem Unrechtskontext" und "Diebstahl" die Rede war.

Generell geht es um Differenzierung, so Kunsthistoriker Stefan Trinks: "Es waren aber die Sammler mit ihrer Empathie, die sich als Alternative und als Korrektoren gegenüber Räubern und Versklavern empfanden und damit viele Zeugnisse indigener Kulturen vor einer Zerstörung bewahrten." (FAZ, 23.08.2020) Zu diesen Sammlern im Geiste von Herder und Humboldt darf man nach jetzigem Kenntnisstand auch Knappe zählen. Keineswegs alle Südsee-Exponate sind blutiges Raubgut, wie Götz Alys Buch "Das Prachtboot" (2021) einseitig suggeriert. Der Bayreuther Professor Hermann Joseph Hiery, bester Kenner der deutschen Südsee-Geschichte, macht auf die fehlende wissenschaftliche Tiefe und Ausgewogenheit von Alys Buch aufmerksam. Der Erwerb war meist komplexer als das "Täter-Opfer-Schema" der "populistisch-postkolonialen Geschichtsschreibung", so die Göttinger Ethnologie-Professorin Brigitta Hauser-Schäublin.

(Dr. Steffen Raßloff)


Lesetipps:

Marina Moritz/Kai Uwe Schierz (Hg.): Reisen ins Paradies. Die Erfurter Südsee-Sammlung im Spiegel der Kunst. Erfurt 2005.

Steffen Raßloff: Wilhelm Knappe (1855-1910). Staatsmann und Völkerkundler im Blickpunkt deutscher Weltpolitik. Jena 2005.

Steffen Raßloff: Deutsche Weltpolitik. In: Deutsche Geschichte. Die große Bild-Enzyklopädie. München 2018. S. 278 f.


Siehe auch: Wilhelm Knappe, Koloniales Erbe in Erfurt, Geschichte der Stadt Erfurt, Geschichte der Erfurter Museen