Christian Reichart: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Der "Vater der Blumenstadt" gilt als Begründer des modernen Erwerbsgartenbaus, zu dessen Zentren Erfurt aufstieg.'''


'''Beitrag der Serie [[Denkmale in Erfurt|Denkmale in Erfurt]] aus der Thüringer Allgemeine von [[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]] (13.08.2011)'''


[[Datei:ReichartAR.jpg|310px|right]]Christian Reichart (1685-1775) gilt als "Vater der Blumenstadt Erfurt". Er steht am Beginn einer Entwicklung, die Erfurt um 1900 an die Spitze des weltweiten Gartenbaus führte. Der Erfurter wirkte im Geiste der Aufklärung für das Wohlergehen seiner Heimatstadt, gilt aber darüber hinaus als Wegbereiter des modernen Erwerbsgartenbaus in Europa. Unermüdlich brachte Reichart diesen als erfolgreicher Unternehmer und angesehener Wissenschaftler voran. Zugleich betätigte er sich als engagierten Bürger, als Mitglied des Stadtrates, diverser Kommissionen und als Organist der Reglergemeinde.


'''Dem Vater der Blumenstadt Erfurt'''
So verwundert es nicht, dass man Reichart das erste Denkmal für einen Bürger errichtete – eine Ehrung, die bisher nur Fürsten oder Feldherren zuteilwurde. Der Anstoß ging von der "Allgemeinen deutschen Ausstellung von Produkten des Land- und Gartenbaues" 1865 in Erfurt aus. Sie gilt als eine Art "Ur-Bundesgartenschau", an die die Blumenstadt mit vielen weiteren Schauen bis hin zum heutigen egapark anknüpfte. Die Buga kehrt so 2021 zu ihren Wurzeln zurück, womit auch der Gartenbau-Pionier Reichart wieder stärker in den Fokus rückt. 1867 war sein Denkmal von Georg Carl Kölling auf dem Platz "Am Wasserthor" aufgestellt worden, den man in Reichartplatz umbenannte. Allerdings wandelte sich dieser 1900 zum Kaiserplatz mit Kaiser-Wilhelm-Denkmal (heute Karl-Marx-Platz). Reicharts Standbild wanderte in die Pförtchenanlage unweit des Dreienbrunnenfeldes.


DENKMALE IN ERFURT (6): Christian Reichart gilt als Begründer des modernen Gartenbaus. Ihm errichtete man 1867 das erste Denkmal für einen verdienten Bürger der Stadt.
Ein zweites Denkmal befindet sich seit 1985 vor der ehemaligen Ingenieurschule für Gartenbau "Christian Reichart", die heute zur Fachhochschule Erfurt gehört. In deren Fachrichtung Gartenbau weiß man sich dem renommierten Fachmann nach wie vor verpflichtet. Die Bronzebüste von Kerstin Stöckel lässt in den Gesichtszügen auch Humor erahnen. So hat Reichart seinen Mitmenschen manchen derben Streich gespielt. In seinen Erinnerungen schildert er, wie er mit dem Saft des spanischen Pfeffers eine Tabakspfeife bestrichen hat und beschreibt die Reaktion des Rauchers: "So schwüllet ihm die Lippe auf wie eine Bratwurst, und er bekommt Blasen noch ärger als von der heißesten Brenn-Nessel."


[[Datei:RDE.jpg|300px|right]]Das vor einigen Monaten erschienene Buch des Erfurter Geschichtsvereins "Blumenstadt Erfurt" schlägt den Bogen vom mittelalterlichen Waidhandelszentrum bis hin zum heutigen egapark. Eine Schlüsselstellung nimmt dabei der Aufsatz zu Christian Reichart (1685-1775) und den Anfänger des modernen Erwerbsgartenbaus ein. Die Autoren Eberhard Czekalla und Reiner Prass würdigen den „Vater der Blumenstadt Erfurt“ als erfolgreichen Quereinsteiger in die Gärtnerbranche, als Autor international beachteter Fachbücher, als Erfinder von neuen Gartengeräten und Anbaumethoden, als Züchter, aber auch als vielfältig engagierten Bürger seiner Vaterstadt. Er steht am Anfang einer Entwicklung, die Erfurt um 1900 an die Spitze des weltweiten Gartenbaus führen sollte.  
Was aber war das Neue am modernen Erwerbsgartenbau? Über Jahrhunderte hatte v.a. Waid die Erfurter Wirtschaft geprägt. Das Blaufärbemittel sorgte als "blaues Gold" für Reichtum und Macht der Mittelaltermetropole. An dessen Stelle trat ab dem späten 17. Jahrhundert der Gartenbau. Die zunehmend größeren Gärtnereien produzierten nun mit effektiveren Methoden über den regionalen Bedarf hinaus. Neben Getreide gewann Gemüse an Bedeutung. Zugleich wandelten sich Blumen vom Luxusgut zum beliebten Massenartikel. Der Samenhandel begann seinen internationalen Siegeszug. Voraussetzungen für all dies waren die Lage Erfurts an wichtigen Handelsstraßen und ein fruchtbares Umland. Eine intensive Tierhaltung sorgte für Dünger, ärmere Regionen wie der Thüringer Wald boten die nötigen Arbeitskräfte.  


So wundert es nicht, wenn aus einem Impuls der großen internationalen Gartenbauausstellung 1865 in Erfurt heraus zwei Jahre später Christian Reichart das erste Denkmal für einen verdienten Bürger der Stadt errichtet wurde. Georg Carl Kölling schuf eine Sandsteinfigur im Habitus des späten 18. Jahrhunderts. Aufgestellt wurde sie auf dem Platz „Am Wasserthor“, der in Reichartplatz umbenannt wurde. Allerdings wandelte sich, gewissermaßen als Spiegel der Geschichte, der Reichartplatz 1900 zum Kaiserplatz mit Kaiser-Wilhelm-Denkmal und 1945 zum Karl-Marx-Platz. Das Denkmal musste 1899 in die idyllische, aber abgelegene Pförtchenanlage weichen. Ein zweites, 1985 eingeweihtes Denkmal befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Ingenieurschule für Gartenbau in der Leipziger Straße, die den Namen Reicharts trug und heute zur Fachhochschule Erfurt gehört. Es handelt sich um eine Bronzebüste von Kerstin Stöckel, die sich an dem bekannten Gemälde von Jacob Samuel Beck orientiert.
Christian Reichart gab dieser Entwicklung maßgebliche Impulse. Der studierte Jurist kam nach dem Tode seines Stiefvaters 1722 als Quereinsteiger zum Gartenbau. Als erfolgreicher Unternehmer, dem immer mehr Gärtner nacheiferten, brachte er den Erfurter Gartenbau voran. Reichart machte neue Gemüsesorten wie den aus Zypern stammenden Blumenkohl und Brokkoli in Erfurt heimisch. Herzstück seines Unternehmens waren die Besitzungen im Dreienbrunnenfeld, wo Reichart u.a. die beliebte Brunnenkresse kultivierte. Jenes vitaminreiche Gemüse, angebaut in Becken („Klingen“) mit frischem Quellwasser, soll später sogar Kaiser Napoleon veranlasst haben, Erfurter Gärtner zum Kresseanbau nach Versailles zu schicken. Auch Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe im nahen Weimar, Mitgestalter des Ilmparks und Gartenfreund, wusste Reicharts Innovationen zu schätzen.  


Christian Reichart ist bis heute eine der bekannten Persönlichkeiten der Stadtgeschichte. Im letzten Jahr würdigte man seinen 325. Geburtstag mit einem Festakt im Rathaus und einer kleinen Ausstellung. Die Versuche von geschichtsbewussten Bürgern, das Denkmal aus der Pförtchenanlage an seinen alten Platz zurück zu führen oder zumindest den Reichartplatz zurück zu benennen, scheiterten jedoch an Stadtverwaltung und Lokalpolitik. Auch die Anregung, die Reichartbüste aus der Leipziger Straße in die Grünanlage vor der Reglerkirche umzusetzen, wurde nicht aufgriffen. Dort war der engagierte Bürger jahrzehntelang als Organist in seiner Kirchgemeinde tätig und wohnte direkt vis-a-vis. Man wird also weiterhin im Zentrum der Blumenstadt vergeblich nach einem Denkmal für Christian Reichart suchen.
Der belesene Praktiker Reichart errang als Erfinder von Gartengeräten (Gießschüssel, Stachelwalze, Saategge, Schureisen, Jätemaschine) und Verbesserer von Anbaumethoden (Fruchtfolge ohne Brache, Bodenbearbeitung, Düngung, Bewässerung), als Samenzüchter, Theoretiker der Gärtner-Ausbildung und Autor international beachteter Fachbücher, allen voran seines sechsbändigen Hauptwerkes „Land- und Gartenschatz“ (1753-1774), hohes Ansehen. Ausdruck hierfür sind u.a. die Mitgliedschaft in den Akademien von Erfurt und Göttingen. Die Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt verleiht heute ihm zu Ehren den Reichart-Preis für wissenschaftliche Arbeiten mit hohem Anwendungsbezug.


('''[[Steffen Rassloff|Dr. Steffen Raßloff]]''')


Literaturtipps:


'''Steffen Raßloff: [[100 Denkmale in Erfurt|100 Denkmale in Erfurt. Geschichte und Geschichten]].''' Mit Fotografien von Sascha Fromm (Thüringen Bibliothek. Bd. 11). Essen 2013.
'''Lesetipps:'''


'''Martin Baumann/Steffen Raßloff (Hg.): [[Blumenstadt Erfurt|Blumenstadt Erfurt. Waid - Gartenbau - iga/egapark]]'''. Erfurt 2011.
Steffen Raßloff: '''Die Blumenstadt. Erfurt und der Gartenbau.''' In: '''[[Erfurt 55 Highlights aus der Geschichte|Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte]].''' Erfurt 2021. S. 86 f.


Martin Baumann/Steffen Raßloff (Hg.): '''[[Blumenstadt Erfurt|Blumenstadt Erfurt. Waid - Gartenbau - iga/egapark]]'''. Erfurt 2011.


Siehe auch: '''[[Reichart Büste|Reichart-Büste Fachhochschule]]''', '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Domstufen Blumenstadt|Erfurt - Der "Gärtner des Reiches"]]''', '''[[Blumenstadt Erfurt]]''', '''[[Bundesgartenschau Erfurt 2021|Buga 2021]]''', '''[[Johann Hieronymus Kniphof]]'''
 
Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Blumenstadt Erfurt Buga|Blumenstadt Erfurt]]''', '''[[Bundesgartenschau Erfurt 2021|Bundesgartenschau 2021]]''', '''[[Christian Reichart Denkmal|Reichartdenkmal]]''', '''[[Reichart Büste|Bronzebüste FH]]'''

Aktuelle Version vom 1. Oktober 2022, 09:30 Uhr

Christian Reichart

Der "Vater der Blumenstadt" gilt als Begründer des modernen Erwerbsgartenbaus, zu dessen Zentren Erfurt aufstieg.


ReichartAR.jpg

Christian Reichart (1685-1775) gilt als "Vater der Blumenstadt Erfurt". Er steht am Beginn einer Entwicklung, die Erfurt um 1900 an die Spitze des weltweiten Gartenbaus führte. Der Erfurter wirkte im Geiste der Aufklärung für das Wohlergehen seiner Heimatstadt, gilt aber darüber hinaus als Wegbereiter des modernen Erwerbsgartenbaus in Europa. Unermüdlich brachte Reichart diesen als erfolgreicher Unternehmer und angesehener Wissenschaftler voran. Zugleich betätigte er sich als engagierten Bürger, als Mitglied des Stadtrates, diverser Kommissionen und als Organist der Reglergemeinde.

So verwundert es nicht, dass man Reichart das erste Denkmal für einen Bürger errichtete – eine Ehrung, die bisher nur Fürsten oder Feldherren zuteilwurde. Der Anstoß ging von der "Allgemeinen deutschen Ausstellung von Produkten des Land- und Gartenbaues" 1865 in Erfurt aus. Sie gilt als eine Art "Ur-Bundesgartenschau", an die die Blumenstadt mit vielen weiteren Schauen bis hin zum heutigen egapark anknüpfte. Die Buga kehrt so 2021 zu ihren Wurzeln zurück, womit auch der Gartenbau-Pionier Reichart wieder stärker in den Fokus rückt. 1867 war sein Denkmal von Georg Carl Kölling auf dem Platz "Am Wasserthor" aufgestellt worden, den man in Reichartplatz umbenannte. Allerdings wandelte sich dieser 1900 zum Kaiserplatz mit Kaiser-Wilhelm-Denkmal (heute Karl-Marx-Platz). Reicharts Standbild wanderte in die Pförtchenanlage unweit des Dreienbrunnenfeldes.

Ein zweites Denkmal befindet sich seit 1985 vor der ehemaligen Ingenieurschule für Gartenbau "Christian Reichart", die heute zur Fachhochschule Erfurt gehört. In deren Fachrichtung Gartenbau weiß man sich dem renommierten Fachmann nach wie vor verpflichtet. Die Bronzebüste von Kerstin Stöckel lässt in den Gesichtszügen auch Humor erahnen. So hat Reichart seinen Mitmenschen manchen derben Streich gespielt. In seinen Erinnerungen schildert er, wie er mit dem Saft des spanischen Pfeffers eine Tabakspfeife bestrichen hat und beschreibt die Reaktion des Rauchers: "So schwüllet ihm die Lippe auf wie eine Bratwurst, und er bekommt Blasen noch ärger als von der heißesten Brenn-Nessel."

Was aber war das Neue am modernen Erwerbsgartenbau? Über Jahrhunderte hatte v.a. Waid die Erfurter Wirtschaft geprägt. Das Blaufärbemittel sorgte als "blaues Gold" für Reichtum und Macht der Mittelaltermetropole. An dessen Stelle trat ab dem späten 17. Jahrhundert der Gartenbau. Die zunehmend größeren Gärtnereien produzierten nun mit effektiveren Methoden über den regionalen Bedarf hinaus. Neben Getreide gewann Gemüse an Bedeutung. Zugleich wandelten sich Blumen vom Luxusgut zum beliebten Massenartikel. Der Samenhandel begann seinen internationalen Siegeszug. Voraussetzungen für all dies waren die Lage Erfurts an wichtigen Handelsstraßen und ein fruchtbares Umland. Eine intensive Tierhaltung sorgte für Dünger, ärmere Regionen wie der Thüringer Wald boten die nötigen Arbeitskräfte.

Christian Reichart gab dieser Entwicklung maßgebliche Impulse. Der studierte Jurist kam nach dem Tode seines Stiefvaters 1722 als Quereinsteiger zum Gartenbau. Als erfolgreicher Unternehmer, dem immer mehr Gärtner nacheiferten, brachte er den Erfurter Gartenbau voran. Reichart machte neue Gemüsesorten wie den aus Zypern stammenden Blumenkohl und Brokkoli in Erfurt heimisch. Herzstück seines Unternehmens waren die Besitzungen im Dreienbrunnenfeld, wo Reichart u.a. die beliebte Brunnenkresse kultivierte. Jenes vitaminreiche Gemüse, angebaut in Becken („Klingen“) mit frischem Quellwasser, soll später sogar Kaiser Napoleon veranlasst haben, Erfurter Gärtner zum Kresseanbau nach Versailles zu schicken. Auch Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe im nahen Weimar, Mitgestalter des Ilmparks und Gartenfreund, wusste Reicharts Innovationen zu schätzen.

Der belesene Praktiker Reichart errang als Erfinder von Gartengeräten (Gießschüssel, Stachelwalze, Saategge, Schureisen, Jätemaschine) und Verbesserer von Anbaumethoden (Fruchtfolge ohne Brache, Bodenbearbeitung, Düngung, Bewässerung), als Samenzüchter, Theoretiker der Gärtner-Ausbildung und Autor international beachteter Fachbücher, allen voran seines sechsbändigen Hauptwerkes „Land- und Gartenschatz“ (1753-1774), hohes Ansehen. Ausdruck hierfür sind u.a. die Mitgliedschaft in den Akademien von Erfurt und Göttingen. Die Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt verleiht heute ihm zu Ehren den Reichart-Preis für wissenschaftliche Arbeiten mit hohem Anwendungsbezug.

(Dr. Steffen Raßloff)


Lesetipps:

Steffen Raßloff: Die Blumenstadt. Erfurt und der Gartenbau. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 86 f.

Martin Baumann/Steffen Raßloff (Hg.): Blumenstadt Erfurt. Waid - Gartenbau - iga/egapark. Erfurt 2011.


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Blumenstadt Erfurt, Bundesgartenschau 2021, Reichartdenkmal, Bronzebüste FH